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Integration am Schachbrett


Integration am Schachbrett - eine Zeitreise der besonderen Art
Seit einigen Jahren hat die Schach AG des Konrad-Adenauer- Gymnasium ( KAG) in Langenfeld schon Kontakt zu blinden und sehbehinderten Schachspielern. Ein Langzeitprojekt, das eher zufällig begann. Bei einem Tag der offenen Tür spielte Daniel, ein Junge aus meiner Gruppe, mit verbundenen Augen gegen den damaligen Schulleiter. Von den Zuschauern wurde danach die Frage gestellt, ob dies " nur " eine Showveranstaltung war, oder , ob blinde Mitbürger tatsächlich das königliche Spiel beherrschen. Ich konnte diese Frage beantworten, da im Nachbarschachverein ein blinder Spieler in der Mannschaft spielte, gegen den ich regelmäßig antreten durfte, aber nie über ein Remis hinaus kam. Für die Kinder waren das jedoch nur Worte und es galt, den Beweis anzutreten. Dabei halfen die blinden Schachfreunde aus Essen und Köln. Bei zahlreichen Besuchen, konnten sich die KAG Schüler nicht nur von der Richtigkeit meiner Worte überzeugen, sondern bekamen auch Einblicke in eine ganz andere Welt. Die Berichte der Kinder wurden nicht nur in der Lokalpresse veröffentlicht, sondern suchten sich auch ihren Weg im Netz.
"Die Welt der Blinden ist klein", meldete sich dann Josef Esser aus Köln, " hättet ihr Interesse an weiteren Kontakten?" Kurze Zeit später kam erstmalig eine Einladung aus Haaksbergen zum IBIS, dem Internationalen Blinden Integration Schachturnier. Die KAG Schüler blieben durch ihren Umgang mit behinderten Mitbürgern nachdrücklich in Erinnerung und seit dem erhalten wir jedes Jahr wieder eine Einladung. " Ich habe einen Freund in England", meldete sich dann Ewald Heck, den die Leser des Schachkomet sicher als Pressereferenten des Deutschen Blindenschachbundes kennen. Dieser Freund heißt Chris Ross und wir konnten ihn überreden, bei einem Tag der offenen Tür via Skype simultan zu spielen.
Die Mutter eines Sechstklässlers, der jetzt in meiner Schachgruppe spielt, erinnert sich noch nach über einem Jahr an das Bild, das sie gesehen hat: " Da saßen an drei Brettern ganz still die Kinder und plötzlich ertönte eine Stimme aus dem " Jenseits", die die Züge übermittelte. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Und während der Partien, wechselte die Stimme plötzlich von Englisch zu Deutsch. Irgendwie war es unglaublich, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte." Der Leser, der Chris kennt, kann sicher denken, dass er alle Partien gewonnen hat. Ein Jahr später konnten wir Chris zu einem Weihnachtsbesuch begrüßen. Anschließend schrieb er darüber einen Bericht an " Braillechessgroup " Und es meldeten sich andere blinde Schachfreunde, die sich vorstellen konnten, gegen diese deutschen Kinder zu spielen. Beim nächsten Tag der offenen Tür hatten wir dann via Skype Olivier de Ville aus Frankreich als Gast und eine ganze Gruppe von Fünftklässlern , die sich beraten durfte, verlor das Endspiel, in dem Oliver seinen Mehrbauern aus der Eröffnung traumhaft sicher verwertete.
Auf den Artikel von Chris meldete sich noch ein weiterer Schachfreund aus London, der uns nun eine Zeitreise- nicht nur in die Geschichte des Blindenschachs- ermöglicht, der 91. jährige Hans Cohn. Bei einer bekannten Suchmaschine findet man die folgende Vorgeschichte:
Herr Cohn ist im Alter von 11 Jahren erblindet. Er besuchte das Französische Gymnasium in Berlin. In der dortigen Aula gab es eine Schlägerei zwischen einem Hitlerjungen und einem Juden, bei der Herr Cohn als Unbeteiligter einen Schlag ins Auge bekam. Er durfte, obwohl gleichfalls Jude und jetzt auch blind, die Schule noch bis zur Obertertia weiterbesuchen, da sein Vater Frontkämpfer im ersten Weltkrieg gewesen war und Studiendirektor Rötig sich für ihn einsetze. Frau Cohn brachte Ihren Sohn im Jahre 1938 in eine englische Blindenschule und kam im Jahre 1939 gleichfalls nach England, während sein Vater in Deutschland blieb und Opfer des Holocaust wurde.
Den Namen kennen vielleicht die älteren Leser des Schachkomet auch im Zusammenhang mit der IBCA und so lag es nahe, mal zu fragen, wie es dann weitergegangen ist. Hans ging auf die Blindenschule in Worcester, einem Ort in Mittelengland und entging so den Bombenangriffen auf London. Über seinen ebenfalls blinden Mathematik Professor Reginald Bonham, kam er mit Schach in Kontakt. Der Prof hatte auch die Idee, die zur Gründung der IBCA führte. Die erste Blindenschacholympiade fand 1961 in Meschede statt und im englischen Team stand Hans Cohn. " Drei Jahre später in Kühlungsborn in der DDR, war das dann ein Thema für die Presse", erzählte Hans, ohne auf Einzelheiten einzugehen und ich habe auch nicht nachgefragt. Bei der dritten Austragung des Turniers in England, war Hans dann selbst der Organisator: " Die Anreisekosten mussten die Mannschaften selbst tragen, aber die kompletten Unterbringungskosten haben wir übernommen", erinnert er sich. Keine billige Angelegenheit, denn aus den sechs Mannschaften zum Auftakt, waren 19 Teams geworden. Hans übernahm auch verschiedene Funktionen innerhalb der IBCA. Nach Deutschland ist er nur zu Schachturnieren und zum Winterurlaub zurückgekehrt. Ein Ausreise nach Israel hat er erwogen, aber von dort nie eine Antwort auf seine Anfrage erhalten.
Gespielt haben wir beim ersten Livekontakt noch nicht, werden uns aber sicher verabreden. Leicht dürfte die Aufgabe für die Kinder aus meiner Schachgruppe nicht werden, denn Hans hat " im zarten Alter" von 76 Jahren noch den zweiten Platz bei der Deutschen Blindenschachmeisterschaft der Senioren belegt und ist auch im Fernschach aktiv.
Wir sehen uns!
Kersten Linke

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