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Offenburger Tageblatt berichtet über Südwestmeisterschaft in Mühlenbach

Quelle: Offenburger Tageblatt

03.11.2012
Wenn der Tastsinn mitspielt
Im Mühlenbacher Hotel "Roter Bühl" treten derzeit 28 sehbehinderte Schachspieler gegeneinander an.

Wer nicht sehen kann, darf fühlen: Die schwarzen Felder auf den Blinden-Schachbrettern sind leicht erhöht. So können Sehbehinderte ertasten, um welches Feld es sich handelt.

Über dem Konferenzraum des Hotels "Roter Bühl" in Mühlenbach liegt ein leises Murmeln und ein beharrliches Ticken. Die Schachspieler an den Tischen berühren die Figuren fast mit ihren Nasenspitzen, andere tasten mit beiden Händen: Im Schwarzwaldhotel "Roter Bühl" in Mühlenbach treten derzeit 28 sehbehinderte und blinde Schachspieler aus Deutschland, der Schweiz, Belgien und Frankreich gegeneinander an.

Jeder Spieler hat sein eigenes Brett, und zum Equipment gehört auch eine Gedächtnisstütze. Die einen nutzen ein großes Blatt Papier mit Lupe, andere ein Blindenschreibgerät, oder sie sprechen die Züge leise in ein Aufnahmegerät. "Jeder Spieler hat sein eigenes Equipment, das seiner Sehbehinderung entspricht", sagt Organisator Gert Schulz. Er ist selbst sehbehindert und gehört zu den Favoriten des Turniers. Der gelernte Bankkaufmann erkrankte an einer Netzhautdegeneration - die seine Sehkraft von 100 auf ein Prozent schwinden ließ. Deshalb beugt er sich, wie viele seiner Turniergegner auch, so nah an die Figuren, dass er sie beinahe mit der Nasenspitze berührt. Die Uhr tickt, und der Frührentner überlegt. Die schwarzen Felder sind leicht erhöht. So kann er den Unterschied zwischen den weißen und schwarzen Feldern ertasten. Die Figuren halten mit einem Metallstift in den Löchern auf den Feldern, damit sie beim Ertasten nicht umfallen. "Mit einer Figur, die aus ihrer Halterung herausgeholt wird, muss gefahren werden. Es gilt also nicht die "Berührt-Geführt-", sondern die "Gezogen-Geführt-Regel"", erläutert Schulz.

Gert Schulz hat sich für einen Zug entschieden und sagt an, welche Figur er auf welchem Feld platzieren will. Sein Gegenüber wiederholt den Zug, Schulz drückt auf die Uhr, holt sein Aufnahmegerät heraus und spricht die Position der Figur hinein. Dann führen beide den Zug auf ihrem Schachbrett aus. Nun ist der Gegner an der Reihe.

2013 finden die Deutschen Schachmeisterschaften für Sehbehinderte in Mühlenbach statt

Unentwegt gleiten seine Finger über die Figuren. Die schwarzen können an ihrer Metallspitze von den weißen unterschieden werden. Nach einer Weile entscheidet auch er sich für einen Zug, das Szenario wiederholt sich. Die Kommunikation ist beim Blindenschach das A und O. Kommt es zu einem Missverständnis, und die Figuren auf den beiden Schachbrettern stehen nicht auf den identischen Feldern, muss ein sehender Schiedsrichter die Situation klären. Schulz' Gegenüber dokumentiert seinen Zug auf einer Blindenschreibmaschine: Buchstabe, Nummer und Figur. Er kontrolliert die Punktschrift. Alles in Ordnung. "Da ich erst ziemlich spät meine Sehkraft verloren habe, kann ich die Punktschrift nicht mehr lernen. Das Lesen und Entziffern würde zu lange dauern, da meine Fingerkuppen nicht mehr sensibel genug dafür sind", erläutert Gert Schulz. Aber es geht auch mit dem Aufnahmegerät ganz gut. Schon nach wenigen Minuten sind die ersten Bauern geschlagen. Das Spiel kann bis zu fünf Stunden dauern. "Alle Mitspieler dieses Turniers spielen in ihrem Heimatort in einem Schachclub mit sehenden Spielern", sagt Schulz. Dass auch in Mühlenbach zwei Sehende mitspielen, ist kein Problem. "Wer will, darf antreten", so der 48-Jährige. Das Turnier, das normalerweise im Zwei-Jahres-Turnus in Mühlenbach stattfindet, ist dieses Mal eine Art Generalprobe: 2013 finden vom 1. bis 9. November in Mühlenbach erstmals die Deutschen Einzelmeisterschaften statt.

Der 16-jährige Pascal aus Ottenau ist zum ersten Mal bei einem Schachturnier für Sehbehinderte dabei.

Die Altersspanne reiche von 16 bis 75 Jahren. Pascal (16) aus Ottenau bei Gaggenau ist zum ersten Mal bei einem Turnier für Sehbehinderte und Blinde dabei. Er trägt während der Partie sein Glücks-T-Shirt. Das Shirt seines Heimatvereins hat ihm bei der vergangenen Partie leider kein Glück gebracht. Obwohl auch so junge Spieler wie Pascal den Weg zum Regionalturnier finden, sei Nachwuchs rar, berichtet Schulz. Er freut sich über die bekannten Gesichter und die familiäre Atmosphäre im Schwarzwaldhotel. "Es geht bei den spannenden Spielen zwar auch um den Sieg, aber hauptsächlich ist es hier für uns sehr entspannend, weil man dem Gegenspieler keine Fragen beantworten muss, wie es bei Turnieren mit Sehenden der Fall ist", sagt Schulz.

Mittlerweile zeichnet sich auf den Schachbrettern ab, dass Schulz an diesem Turniertag einen ebenbürtigen Gegner hat. Die Figuren tanzen so lange umeinander, bis klar wird, das es auf ein Unentschieden, ein Remis, hinausläuft. Heute, Samstag, ist der letzte Spieltag. "Auf der Zielgeraden sind jetzt sechs Spieler punktgleich, es wird also ein spannendes Finale geben", so Schulz. Nach der Partie räumen alle Spieler ihre eigenen Figuren zusammen und verstauen sie in ihren Zimmern. Dann geht es mit dem Abendessen zum gemütlichen Teil des Turniers über.

Text: Meike Pollak, Offenburger Tageblatt

Artikel und Fotos im Offenburger Tageblatt

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