(von René Schlaf) (Quelle: Thüringer Allgemeine vom 21.08.2007) SONDERSHAUSEN. Die Hände liegen auf dem Schachbrett und ertasten die Dame, dann wird die Steckfigur auf die neue Position gerückt. Angela Vollbrecht (39) aus Sondershausen ist blind - und spielt leidenschaftlich gern Schach. Wenn Angela Vollbrecht Schach spielt, tut sie dies mit einem besonderem Schachbrett und besonderen Figuren. Die schwarzen Felder des Spielfeldes sind erhöht, damit sie die Flächen unterscheiden kann. Steckfiguren verhindern, dass sie aus Versehen umgerückt oder umgestoßen werden. "Die verschiedenen Figuren, wie Bauer, Turm oder König, kann ich durch Abtasten erkennen und zur Unterscheidung der Farben besitzen alle schwarzen Figuren einen kleinen Stift auf der Oberseite", erklärt die 39-Jährige gegenüber "Thüringer Allgemeine". Ihr Schachbrett ist kleiner als sonst, weil ein blinder Schachspieler mit seinen Händen die Konstellation aller Figuren ertasten muss und so einen besseren Überblick erhält. Wenn die Sondershäuserin mit Sehenden spielt, hat jeder aber sein eigenes Schachbrett. Denn Frau Vollbrecht muss die Figuren beider Parteien ertasten und lässt ihre Hände manchmal auf dem Schachbrett, um die Spielsituation besser zu erfassen - während ihr Gegner sehend die Aufstellung der Figuren erfasst und seine nächsten Züge überlegt. "Ich spiele schlecht, dafür aber leidenschaftlich gern", behauptet die 39-Jährige von sich. Sogar im Traum kommen ihr manchmal Spielzüge ins Gedächtnis, die besonders gut waren oder auch nicht. "Schach bietet für mich unendliche Kombinationsmöglichkeiten und geistige Herausforderung", sagt sie. Von Geburt an ist sie blind, wuchs in Nordhausen auf. Sie ist Fernschachleiterin im Deutschen Blindenschachbund. Sie teilt die Gruppen ein, bereitet die Turniere vor, notiert die Partien und führt die Ergebnistabelle. Beim Fernschach spielt man gegen vier Gegner über 15 Monate, wobei jeder nach dem Zug des Gegners drei Tage Bedenkzeit erhält. Dabei schicken sich die Mitspieler ihre Spielzüge per Post zu. Frau Vollbrecht ist auch im Schachverein "Glückauf" Sondershausen aktiv - und hier ist sie nicht nur das einzig blinde Mitglied, sondern auch die einzige Frau. "Zum Schach kam ich in der Blindenschule im ehemaligen Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), als sich jeder in der Klasse für ein Pflichtspiel entscheiden musste", erzählt sie. Neben Schach liest sie gern, auch wenn man die Bücher dafür in Leipzig ausleihen muss. Zum Lesen dienen die Zeigefinger. Entweder liest sie mit beiden Händen oder nur mit der Linken die Brailleschrift. Auch das ABC des Schachspiels hat sie in Blindenschrift. Ihre Sehfähigkeit beschränkt sich auf die Unterscheidung von hell und dunkel, Farben aber kennt sie nicht. Auf Nachfrage, ob sich ihr Gehörsinn besonders sensibilisiert habe, antwortet sie: "Sehende hören genau so gut, sie sind nur zu bequem, weil sie sich auf ihre Augen verlassen können." Ein besonderer Höhepunkt war für Angela Vollbrecht das Schach-Simultanturnier im April in Bad Frankenhausen: Dort traf sie auf die internationale Großmeisterin Elisabeth Pähtz aus Erfurt, der sie 15 Züge standhielt. "Ich schätze Elisabeth Pähtz als aufgeschlossene Person, die sich auch für Behinderte einsetzt. Ich ließ mir auch von ihr das Schachbrett signieren", sagt die 39-Jährige stolz.