DBSB-Logo

Presseartikel zur Deutschen Seniorenmeisterschaft des DBSB in Lam

In der Ausgabe der Kötztinger Umschau (Lokalteil der Mittelbayerischen Zeitung in Regensburg) wurde am 23.08.2012 der nachstehende Bericht zur Deutschen Seniorenmeisterschaft des DBSB veröffentlicht:

LAM:
Manfred Müller und Reinhard Niehaus sitzen an einem Tisch im Hotel "Zum Hirschen" in Lam und spielen Schach. Die Uhr läuft. Niehaus sitzt mit einer großen dunklen Brille vor dem Spielbrett. Als er nach längerer Bedenkzeit einen Bauern ein Feld vorrückt, gibt er diesen Zug laut und deutlich bekannt - nicht etwa, weil der Spielzug von besonderer Bedeutung wäre. Sein Gegenüber kann den Zug nicht sehen, sondern nur hören.

Die beiden Schachspieler, die sich hier gegenübersitzen, sind stark sehbehindert. Zusammen mit acht weiteren spielen sie um den Titel des Deutschen Schachmeisters des Deutschen Sehbehinderten- und Blinden-Schachverbandes (DSBSV).

Manfred Müller gehört zu den Senioren der Sportart. Gestreiftes Hemd, helle Hose, die Augen unter den weißen Augenbrauen etwas unstet. Er gehört nicht zu den blinden, sondern zu den sehbehinderten Teilnehmern. Er teilt seinem Gegner mit, dass die Partie kurz unterbrochen wird. Niehaus beugt sich ganz dicht über die Stoppuhr und hält sie an. "Richtig blind sind vier Teilnehmer", erklärt Müller. Ein Mann aus dem Allgäu ist sogar taubblind. Er ist der einzige, der auch eine Hilfsperson beim Turnier mit dabei hat, da er auch die Ansagen seines Gegenübers nicht hören würde. Eine Frau gibt ihm über das sogenannte Lorm-Alphabet mit Tipp-Zeichen in die Handfläche die Spielzüge bekannt. Jedem Spieler sein eigenes Brett Die Regeln sind bei den Sehbehinderten dieselben wie bei sehenden Menschen: Innerhalb von zwei Stunden Bedenkzeit muss ein Teilnehmer 40 Züge gemacht haben, nach drei Stunden pro Spieler ist die Partie vorbei.

Ansonsten gebe es nur wenige Einschränkungen für die sehbehinderten Schachspieler, erklärt Müller. Am auffälligsten ist, dass jeder Spieler sein eigenes Schachbrett bekommt, auf dem er seine eigenen Züge und die des Gegners nachvollzieht. Die weiteren Unterschiede sieht der Betrachter erst auf den zweiten Blick: So haben die schwarzen Figuren alle eine Erhebung auf der Oberseite. Dadurch kann der Spieler die Türme, Damen, Bauern, Läufer und Könige durch seinen Tastsinn in ihrer Farbe unterscheiden. Außerdem sind auch die schwarzen Felder auf dem Brett erhöht. Damit die Figuren beim Tasten nicht umgeworfen werden können, werden sie auf das Brett gesteckt.

Das Internet als Problem
Rund 170 sehbehinderte Schachspieler gibt es in Deutschland, erklärt Manfred Müller. Die Anzahl der Nachwuchsspieler lasse leider zu Wünschen übrig. "Wir haben nur zwei Spieler, die 14 und 16 Jahre alt sind", sagt er. Dabei sei das Schachspiel als "geistiger Sport" geradezu prädestiniert für Menschen mit Sehbehinderung. "Wer von Geburt an blind ist, braucht das Brett eigentlich gar nicht", ist Müller überzeugt. "Er weiß ja gar nicht, wie es aussieht." Bei der Jugend sei die Konkurrenz durch das Internet im Moment allerdings ein Problem. "Bedingt durch die Erblindung sitzen sie oft zu Hause und haben am Computer schnellen Zugriff auf die ganze Welt, da ist Schach nicht mehr so attraktiv."

An sieben Tagen - noch bis zum Sonntag - treffen sich die Teilnehmer jeden Tag um 10 Uhr zu den Matches. Besonders erleuchtet ist der Raum nicht. Das ist auch nicht notwendig. Die stark sehbehinderten Spieler dürfen an Hilfsmitteln in Anspruch nehmen, was immer sie wollen. Reinhard Niehaus nutzt eine Schachtel als Unterlage, um sein Spielbrett höher zu heben. Ein anderer Teilnehmer hat sein kleines Brett ganz nah vor den Augen und hat zusätzlich eine helle Lampe knapp über den Figuren. Der taubblinde Schachspieler aus dem Allgäu hat neben seiner Helferin auch noch eine Blindenschreibmaschine dabei. Damit "notiert" er sich die Züge in der mit den Fingern lesbaren Brailleschrift.

Spiel auch gegen sehende Gegner
Auch mit "Handicap" stehen die Schachspieler, die in Lam ihren Besten ermitteln, den "sehenden" Spielern im Können nicht nach. "Die meisten spielen ja zu Hause in einer Mannschaft", sagt Müller - und das bedeute zwangsweise, dass die meisten Gegenspieler das Spielbrett sehen können. "Die haben dann meistens eher das Problem, dass sie das zweite Brett verwirrt."

Die anderen Spieler haben in der Zwischenzeit ihre Partien fortgesetzt, jetzt kommt auch Reinhard Niehaus aus dem Saal. Er und Müller hatten ihr Spiel gerade erst begonnen, nun soll es weitergehen. Müller nimmt vor seinem Spielbrett Platz, Niehaus startet die Stoppuhr wieder. Die Partie kann noch bis in den Nachmittag hinein dauern. Im Hintergrund gibt gerade ein Teilnehmer bekannt, dass er seinen Bauern um ein Feld vorrückt - die anderen im Saal stört das nicht, die internationalen Schachregeln für Sehbehinderte sehen das eben so vor.

Wer am Ende gewinnt, wissen alle erst am Sonntag. "Aber so verbissen wie beim Profi-Fußball geht es bei uns eh nicht zu", meint Müller, macht einen Zug, drückt die Stoppuhr und beugt sich gedankenversunken wieder über sein Schachbrett.

VON STEFAN WEBER

zurück zur Startseite